Workshop zur Zukunft der Landwirtschaft
Innovation braucht einen langen Atem
Der Stargast heißt im Juli 2024 Rosi. Sie ist dunkelgrün, aus Metall und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 0,4 Metern pro Sekunde auf vier Rädern über eine Weide der Familie Schiegg in Halblech.
Eine Gruppe von Menschen beobachtet sie und wartet auf den Moment, in dem Rosi über einer Ampferpflanze zum Stehen kommt und ihr Fräswerkzeug zückt. Rosi, ein Roboter aus der Werkstatt des Kemptener Startups Paltech, soll künftig zur Ampferbekämpfung eingesetzt werden. Eine Aufgabe, die bisher mit Herbiziden oder aber – beispielsweise auf Bio-Betrieben - mit langwieriger körperlicher Arbeit einhergeht. Ihr Entwickler Felix Schiegg und sein Team haben Rosi heute mitgebracht, um sie im Rahmen eines Innovationsworkshops des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums den Studierenden der Landwirtschaftsschule Kempten vorzustellen.
Forschung und Praxis zusammenbringen
"Hier sitzt die Zukunft der regionalen Landwirtschaft", stellt Dr. Wolfram Schaecke, Leiter des Referats Forschung und Innovation am Bayerischen Landwirtschaftsministerium zwei Stunden vorher fest, als er die Runde begrüßt. Denn die Studierenden der Landwirtschaftsschule sind die Fachleute der Zukunft und damit die Zielgruppe des Workshops. Sie sollen ihren Blick weiten, die Augen offen halten für alles, was es abseits der bekannten Pfade gibt und sich vernetzen. Rainer Hoffmann, Leiter des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Kempten, betont: "Hier wollen wir Forschung und Praxis zusammenbringen und den jungen Leuten auch zeigen, was auch in ihrer Nachbarschaft schon an Innovation passiert." Außerdem sollen die Studierenden über Umsetzungs- und Fördermöglichkeiten insbesondere im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP-Agri) informiert werden. Helene Faltermeier-Huber von der Staatlichen Führungsakademie ist dafür angereist und leitet den Workshop.
EIP-Agri - Staatsministerium
Fortschritt, Forschung und Modernisierung sind Schlagworte, die den Studierenden im Theorieteil zum Thema Innovation einfallen. Doch sie denken auch konkret an ihre betriebliche Praxis und erwarten sich Arbeitserleichterungen, Effizienzsteigerung und Möglichkeiten, Zeit zu sparen. Und hier setzt Felix Schiegg mit seinem Team von Paltech an. Gemeinsam mit seinem Cousin Johannes, dessen Familie heute ihren Milchvieh-Betrieb für den Workshop geöffnet hat, erzählt er von vielen Tagen, die die Familie seit der Umstellung auf ökologischen Landbau 2016 beim Ampferstechen verbracht hat. Während seines Studiums begann der Ingenieur und Robotik-Experte gemeinsam mit seinem Bruder und seinem Stiefvater, zu tüfteln. Seine Idee: Ampferbekämpfung mithilfe von Technik – ganz ohne chemische Mittel und ohne zeitraubende Handarbeit.
Fragen zu Technik und Praxiseinsatz
Das Ergebnis der jahrelangen Entwicklungsarbeit fährt jetzt über die Weide der Schieggs: Rosi arbeitet sich Meter für Meter über die Fläche, die Schieggs Team ihr vorgegeben hat. Eine Kamera erfasst dabei den Boden vor dem Roboter. Wenn das System eine Ampferpflanze erkennt, bohrt Rosi ihr Werkzeug in den Boden und zerhäckselt die Pflanze samt Wurzel. Die Studierenden haben viele technische Fragen, interessieren sich aber auch für den Entwicklungsprozess, die Kosten und die künftigen Einsatzmöglichkeiten. Im kommenden Frühjahr, so Schiegg, solle, wenn alles klappt, eine erste Flotte von vier Robotern in den Praxiseinsatz starten. Bis dahin gebe es aber noch eine Liste an Themen abzuarbeiten, von technischen Details über bürokratische Hürden bei der Finanzierung bis zur IT-Sicherheit und dem Schutz vor Hackerangriffen. "Im ersten Jahr dachten wir, das geht viel schneller", sagt Schiegg, "man braucht schon einen langen Atem."
Schiegg bietet den Studierenden einen ehrlichen Einblick in ein Startup und die Höhen und Tiefen, die innovative Ideen mit sich bringen. Und bekommt unterschiedliche Reaktionen: Viele zeigen Interesse an den Robotern, manche können sich vorstellen, auch eigene innovative Ideen in die Praxis umzusetzen, andere stellen fest, dass so ein Prozess nichts für sie wäre. Ein Ziel des Landwirtschaftsministeriums und der Schule ist aber sicher erreicht: Die Studierenden gehen mit neuer Motivation aus dem Workshop. Auf der Pinnwand, auf der sie ihre Pläne gesammelt haben, steht nicht nur einmal ein Vorsatz wie „Betrieb innovativ und offen für Neues führen“.